Jeder Mensch ist heutzutage sein eigener Nachrichtensprecher. Doch der Schein trügt. Denn die meisten Meinungen, die man hört, sind die Meinungen anderer. Mit einem Mix aus Neugier und kritischem Hinterfragen schaffst du dir die Basis für deine ganz persönliche Sichtweise auf die Welt. Und das unabhängig von anderen Personen oder großen Medienkonzernen.
Neulich im Fitness-Studio: Zwei Typen auf dem Crosstrainer. Machen sich warm und unterhalten sich. Ich sitze auf dem Spinning-Bike vor ihnen und bin richtig gut im Flow. Ganz offensichtlich sind die beiden Studenten. Das Gespräch dreht sich um die Uni, Vorlesungen und Seminararbeiten. Dann – inspiriert von den an der Decke montierten Fernsehern – sagt der eine etwas über TV-Nachrichtenkanäle.
„Irgendwie bringt ja jeder Nachrichtenkanal seine eigene Meinung mit ein…“
„Ja, jeder Sender hat seine eigene Meinung!“
„Dann muss man also den Nachrichtenkanal finden, der die Meinung wiedergibt, die auch für mich okay ist…“
„Genau so geht das!“
Ich höre das und denke: „Das muss gerade ein Scherz gewesen sein, oder? Die beiden meinen tatsächlich, dass man sich den Nachrichtenkanal danach aussucht, ob dessen Meinung zur eigenen passt.“ Abgesehen davon müsste man bei diesem Statement das erste Mal Angst bekommen, denn eigentlich ist es doch der Job von Nachrichtensendern, so objektiv wie möglich zu berichten. Aber ich habe mir noch eine andere Frage gestellt: „OK, ihr zwei Superhelden – und wie wäre es, wenn ihr einfach mal eine eigene Meinung hättet?“
Zugegeben, es ist einfach, sich den ganzen Tag von Medien, Influencern und anderen Meinungsmachern das vorsetzen zu lassen, was einem am besten schmeckt. Auf die Art und Weise kann man nichts falsch machen. Das persönliche Weltbild wird nicht getrübt. Man bekommt genau die Antworten, die zur eigenen Überzeugung passen. So weit, so simpel. Aber was ist, wenn die Informationsquellen, die mir den ganzen Tag ihre Mitteilungen einflüstern, falsch liegen? Was passiert eigentlich mit meinem eigenen Urteilsvermögen, wenn ich mich zu 99% auf die Meinung anderer verlasse? Wie kann ich überhaupt für mich Kriterien entwickeln, nach denen ich mein Umfeld und meine Beziehung zu diesem, beurteile?
Auch wenn es etwas Anstrengung erfordert, sollte man sich in erster Linie auf die eigene Urteilskraft verlassen. Diese Urteilskraft kann man schulen. Dies geschieht in erster Linie dadurch, dass man sich ernsthaft für die Dinge, die einen umgeben, interessiert. Dabei stößt man allerdings auf viele Sachen, mit denen man zum ersten Mal konfrontiert ist. In diesem Fall muss man sich tiefergehend mit dem Thema beschäftigen. Fakten sammeln. Beide Seiten betrachten. Sich die richtigen Fragen stellen. (Vor allem die nach dem Nutzen einer Information: Wem nutzt es, mir diese Information so und nicht anders zu präsentieren?)
Mit der Zeit wird man ein interessierter, kritisch fragender Mensch, der aufgeschlossen für jedes Thema ist, sich aber von niemandem „einfangen“ lässt. Die Folge dieser Herangehensweise ist ein größeres Selbstbewusstsein, verbunden mit der Einsicht, dass es viele unterschiedliche Betrachtungsweisen für ein und die selbe Sache gibt. Das führt dazu, dass man toleranter wird. Toleranter sich selbst gegenüber, aber vor allem toleranter anderen Menschen gegenüber.
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